4 | Neubau in St. Georg
Die Vorstadt St. Georg war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts – wie heute – ein Stadtteil der Gegensätze. Einerseits entstanden der Hansaplatz (Abb. 8), die Lange Reihe und der Steindamm mit gehobener Wohn- und Geschäftsbebauung. Vor allem aber wurden einfache Mietshäuser mit Höfen und Hinterhöfen gebaut – ein ärmlicher Stadtteil für die rasch wachsende einfache Bevölkerung.
Mitten in diesem Gewirr lag das katholische Waisenhaus (vgl. Roll-Up 3) mit einem recht großen Garten. Mangels Alternative beschloss man, die neue katholische Kirche in den Garten des Waisenhauses zu bauen – also keineswegs an einem repräsentativen Platz, sondern im Hinterhof, rundum von Gebäuden umstanden. Nur die beiden Türme sollten aus dem Häusergewirr ragen und den Standort der Kirche im Stadtbild markieren …
Doch so weit war es noch nicht, denn auch die Finanzierung eines so großen Neubaus war alles andere als einfach. Der katholische Reichstagsabgeordnete Ludwig Windthorst (1812 –1891, Abb. 9), führender Repräsentant der Zentrumspartei und Antagonist Bismarcks, engagierte sich besonders für das Projekt. Unter anderem ermunterte er die Hamburger Katholiken, sich nicht mit einer kleinen Lösung zufrieden zu geben. Mit zeittypischem Pathos schrieb er: „Hamburg ist das Tor Deutschlands zur Welt. Die Deutschen, welche in die Welt hinausgehen, hier sprechen sie das letzte Gebet auf deutschem Boden. Es muss ein Tempel gebaut werden katholischen Glaubens, der allen Nationen imponiert. Die Kirche muss Marienkirche heißen – stella maris.“
Viele Menschen begeisterten sich für die Idee. Es gingen einige größere, vor allem aber viele kleine Spenden ein – das erste katholische Crowdfunding-Projekt in Hamburg. Insgesamt kamen 495 895 Mark zusammen, ein Betrag, der für die zunächst bescheidene Innenausstattung ausreichend war. 1889 fiel die endgültige Entscheidung für die Errichtung der St. Marien-Kirche, des ersten katholischen Kirchenneubaus in Hamburg seit der Reformation.